Wenn die Zahnfee kommt

Erwachsenwerden ist nicht leicht. Tiefgreifende Dinge verändern sich auf dem Lebensweg vom Baby bis hin zum großen Menschen. Wenn der erste Satz Zähne beginnt, allmählich zu wackeln und auszufallen, ist das ein spannendes Ereignis für die Kleinen und ein Zeichen für etwas ganz Neues – und für einen Verlust. Denn danach zeigen sich schon die richtigen Erwachsenenzähne im Kindermund, und der erste kleine Schritt zum Großwerden ist geschafft. Aber vorher kommt noch jemand vorbei und kümmert sich persönlich um den ausgefallenen Zahn: die Zahnfee. Oder sie schickt einen ihrer Kollegen. 

Alte Bräuche um die Milchzähne

Wenn die ersten Zähne verloren gehen, war das schon immer etwas Besonderes. Verlor ein kleiner Wikinger einen Milchzahn, bekam er von seinen Eltern "tann-fé" (übersetzt bedeutet das so viel wie "Zahngeld"). Die Krieger trugen die ausgefallenen Milchzähne in Kämpfen als Glücksbringer bei sich. Als man im Mittelalter noch an Hexen glaubte, die mit Zähnen eines Menschen vermeintlich Böses anstellen konnten, wurden die Milchzähne vergraben, verbrannt oder sogar an Tiere verfüttert. Vielleicht war die Vorgängerin der Zahnfee wirklich eine böse Hexe, die eigentlich Zähne stehlen wollte. Inzwischen sind aber viele Jahrhunderte vergangen, und die Zahnfee ist ein gutes und freundliches Wesen, das den Menschen wohlgesonnen ist.

Wer ist die Zahnfee?

Ihre Herkunft ist – wie sich das gehört für ein Fabelwesen – rätselhaft und geheimnisvoll. Wo sie wohnt, weiß auch niemand ganz genau. Sicher ist nur, sie ist eine nachtaktive Fee, die auf magische Weise erfährt, wenn ein Kind seinen ersten Wackelzahn verliert und diesen unter sein Kopfkissen legt. Dann macht sie sich auf den Weg und schlüpft nachts heimlich und ungesehen ins Kinderzimmer, zieht ganz vorsichtig den Zahn hervor und legt dafür eine kleine Überraschung unter das Kissen. Den Zahn nimmt sie mit. Statt des verlorenen Zahns finden Kinder am nächsten Morgen das Zahnfee-Geschenk. In Amerika macht man es der Zahnfee übrigens ganz besonders leicht, ins Kinderzimmer zu kommen. Extra für sie wird eine winzige Feen-Tür an der Wand angebracht, die nur die Fee selbst öffnen und durch die sie ganz leicht hineinkommen kann.

Seit wann ist die Zahnfee unterwegs?

Ganz genau weiß man das nicht. Aber im Jahre 1908 wurde sie in der Chicago Daily Tribune erwähnt, und 1927 machte man sie dann zur Hauptdarstellerin eines Schauspiels für Kinder, The Tooth Fairy (englisch für "Die Zahnfee"). Als Lee Rogow 1949 eine ganze Geschichte über sie schrieb, verbreitete sich das Wissen um ihre nächtliche Tätigkeit unaufhaltsam. In zahlreichen Büchern, Filmen und Comics werden ihre Abenteuer erzählt. Und wenn im Mund der erste Milchzahn wackelt, ist das kein Grund zur Sorge, sondern zur Vorfreude, denn die Fee hinterlässt immer ein kleines Geschenk, wenn sie zu Besuch kommt. Manchmal legt sie auch noch einen kurzen Brief an das Kind hin, bedankt sich für den schönen Zahn, lobt es für regelmäßiges Zähneputzen oder die neu entstandene Zahnlücke. Seit 1980 hat sie sogar einen eigenen Ehrentag: der 22. August in jedem Jahr ist ihr gewidmet. 

Holt die gute Fee jeden Milchzahn?

Das besprechen am besten die Eltern mit der lieben Zahnfee. Es ist natürlich ganz schön anstrengend, bei jedem Kind jeden einzelnen verlorenen Milchzahn abzuholen. Denn kleine Kinder haben insgesamt 20 Zähne, die alle irgendwann ausfallen. Es besteht natürlich die Gefahr, dass die Magie und die Vorfreude sich etwas abnutzt und die Zahnfee müde wird, wenn sie immer wieder in das gleiche Kinderzimmer huschen muss. Der allererste verlorene Zahn ist immer der Aufregendste. Vielleicht kommt die Zahnfee also nur beim ersten Mal vorbei und tauscht den Zahn gegen ein Geschenk aus. Das kann dann auch ein etwas größeres Geschenk sein. 

Muss die Zahnfee auf der ganzen Welt Zähne einsammeln?

Zum Glück hat die Zahnfee noch ein paar Kollegen und muss die ganze Arbeit nicht allein machen. In anderen Ländern arbeiten nämlich auch noch andere Fabelwesen und helfen ihr dabei. In El Salvador hoppelt ein Hase bei Nacht durch die Kinderzimmer und sammelt die Zähne ein. Bei den Kindern in Frankreich und in Spanien tauscht eine kleine Maus den Zahn gegen ein Geschenk oder eine Münze aus. Aber es geht sogar noch kleiner: In der Schweiz ist es eine Ameise, die die Milchzähne holt und dafür eine Überraschung zurücklässt. In Asien und Rumänien gibt es keinen fabelhaften Zähnesammeldienst, dort wirft man den ausgefallenen Zahn einfach über das Hausdach. Dabei wünscht man sich mit lautem Rufen einen starken, neuen Zahn. In Polen vergraben die Kinder ihre verlorenen Zähne im Garten, damit die neuen bleibenden Zähne auch gut wachsen. 

Woher weiß die Zahnfee denn, was sie unter das Kopfkissen legen soll?

Die Eltern wissen am besten, was ihrem Kind eine schöne Überraschung bereiten könnte. Deshalb ist es immer gut, wenn die Eltern und die Zahnfee sich vorher unterhalten. Manche Kinder freuen sich vielleicht über ein Geldstück für ihr Sparschwein (die Zahnfee kann so ein Geldstück auch noch mit ein bisschen Glitzer verzieren, dann sieht es viel schöner aus). Ein Spielzeug, eine tolle Zahnbürste, ein Puzzle, eine Haarspange, ein Hörspiel oder ein Kuscheltier, alles Mögliche kann unter dem Kopfkissen landen. Nur mit Süßigkeiten sollte die Zahnfee lieber sehr sparsam umgehen. Viel Zucker ist nicht gesund für die Zähne, und die neuen Erwachsenenzähne sollen ja auch lange gesund und stark bleiben. 

Was passiert, wenn das Kind seinen Zahn behalten möchte?

Die Zahnfee hat auch dafür Verständnis. Die Eltern können ihr verraten, dass ihr Kind die Zähne lieber selbst sammeln möchte. In solchen Fällen macht die Fee auch Ausnahmen und betrachtet die kleinen Zähnchen nur ausgiebig, lässt sie dann aber liegen und legt trotzdem ein Geschenk hin. Das könnte dann ein hübsches Döschen zur Aufbewahrung der Zähne sein. Vielleicht schreibt sie dem Kind ja auch in einem Briefchen, wie schön sie den kleinen Zahn fand und dass sie gut verstehen kann, dass sein Besitzer ihn lieber behalten will. 

Und wenn das Zähnchen verschluckt wurde?

Keine Angst, darüber muss kein Kind traurig sein. So ein Missgeschick passiert schon mal mit kleinen Wackelzähnen. Die Zahnfee ist schließlich ein Fabelwesen mit märchenhaften Fähigkeiten, und sie sieht alles. Dann gibt es natürlich auch für einen versehentlich heruntergeschluckten Zahn etwas unters Kissen.

Fazit:

Die Welt ist für Kinder noch voller Zauber und Wunder. Selbst wenn das Verlieren des ersten Wackelzahns das Großwerden einläutet und damit auch den allmählichen Übergang in eine andere, ernstere Welt, bleibt auch später die Erinnerung an etwas Schönes. Der Mythos um die Zahnfee gibt Erziehenden die Möglichkeit, ihr Kind mit einer wunderbaren Geschichte zu verzaubern und sie individuell weiterzuerzählen.