„Der Ruhestand ist das Langweiligste, was es gibt.“ - Dr. Jürgen Oberbeckmann
Dr. Jürgen Oberbeckmann im Gespräch
Zur Person: Dr. Jürgen Oberbeckmann studierte von 1961 bis 1966 Zahnmedizin an der Universität Bonn. Anschließend arbeitete er als Assistent in der kieferchirurgischen Praxis von Dr. Karl-Otto Muenk in Hildesheim, bevor er sich 1969 mit seiner eigenen Praxis in Essen niederließ und gleichzeitig zum Leiter der kieferchirurgischen Abteilung des Huyssenstift Essen avancierte. 1999 gründete er die Zahnklinik am Elisabeth-Krankenhaus in Essen. Heute wird die Klinik unter dem Namen Dentalzentrum Essen von seinen früheren Assistenzärzten geleitet und führt im Jahr rund 2.000 Implantatoperationen durch. Dr. Oberbeckmann behandelt als Angestellter der Klinik immer noch an vier Tagen in der Woche.
Ganz nebenbei berät er noch drei medizinische Versorgungszentren in Bochum (siehe Zahnärzte in Bochum), Siegburg (siehe Zahnarzt Siegburg) sowie Aschaffenburg (siehe Zahnarzt Aschaffenburg) und kontrolliert dort sämtliche Behandlungen. Zwei seiner drei Söhne hat es ebenfalls in die dentale Branche gezogen: Dr. Olaf Oberbeckmann ist Zahnarzt in Essen, Jan-Dirk Oberbeckmann Geschäftsführer der IMEX Group, zu der unter anderem das Zahnarztnetzwerk DentNet und die IMEX Dental und Technik GmbH gehören. Der Ruhestand ist für den Implantologen, der jeden Morgen um sechs Uhr aufsteht, noch lange nicht in Sicht.
Seine Faszination für die Implantologie – das Einbringen künstlicher Zahnwurzeln in den Kieferknochen – erwachte schon in den sechziger Jahren. 1969 setzte er zum ersten Mal selbst ein Implantat ein. Deutschlands Universitäten standen der revolutionären Behandlungsmethode damals allerdings noch sehr skeptisch gegenüber. Dr. Oberbeckmann zog es daher zur Weiterbildung in die USA, zu den wagemutigen Pionieren der Implantologie und damit auch zum berühmten Professor Leonard Linkow nach New York.
DentNet: Dr. Oberbeckmann, warum hat es Ihnen die Implantologie so angetan?
Meinen eigenen Vater, der 50 Jahre älter war als ich, erlebte ich nur mit Prothesen. Er hat damals zu mir gesagt: „Junge, man sollte so geboren werden!“. Das habe ich nie vergessen. Er kannte es nicht anders und hatte sich vollkommen daran gewöhnt. Als mein Sohn Jan-Dirk etwa fünf war, kam er von den Großeltern zurück und war ganz aufgeregt: „Der Opa kann seine Zähne herausnehmen, hast du so was schon mal gesehen?“ Die Idee, dass künstliche Zahnwurzeln festsitzenden Zahnersatz ermöglichen, hat mich schon früh nicht mehr losgelassen. Für mich ist es unvorstellbar, heute noch konventionelle Prothesen herzustellen. Für Patienten ist es ein unglaubliches Stück Lebensqualität, wenn sie nicht mehr mit herausnehmbaren Teil- oder Vollprothesen leben müssen. Und wenn es unbedingt herausnehmbarer Zahnersatz sein muss, dann mit komfortablem, sicherem Halt auf Implantaten.
DentNet: Aber Sie fanden hier in Deutschland nicht die Möglichkeit zu einer entsprechenden Weiterbildung?
Die deutschen Universitäten lehnten damals die Implantologie kategorisch ab. Weil ein Implantat Kontakt zur keimbelasteten Mundhöhle hat, befürchtete man zahlreiche Misserfolge. Ich bin deshalb schon ab 1970 häufig in die Vereinigten Staaten gereist und habe dort an Fort- und Weiterbildungen teilgenommen.
DentNet: Die USA waren uns in Sachen Implantologie vor 50 Jahren so weit voraus?
Die USA waren deutlich weiter und haben auch mehr riskiert. Wir in Deutschland sind Bedenkenträger und sehr kritisch. Wir diskutierten herum, die Amerikaner gingen viel optimistischer an die Sache heran und implantierten einfach. Professor Linkow, der heute als Vater der Implantologie bezeichnet wird, hat weltweit Fortbildungen abgehalten.
(Anm. der Redaktion: Der 2017 verstorbene Prof. Leonard Linkow war Zahnarzt und leidenschaftlicher Implantologe, verfasste 18 Bücher, über 100 Fachartikel und hielt 36 Patente für dentale Entwicklungen. Er war der einzige Zahnarzt, der jemals für den Nobelpreis Medizin nominiert wurde.)
Ich bin häufig bei seinen Veranstaltungen in New York gewesen. Bei manchen Vorträgen haben 800 Zahnärzte zugehört! Professor Linkow war für Zahnärzte ungefähr das, was Elvis Presley für seine Fans war.
DentNet: Woher stammte der Zahnersatz für Ihre Patienten?
Auf Empfehlung von Professor Linkow wählte ich ein Zahnlabor in New York an der Madison Avenue. Die Arbeiten gingen mittags aus unserer Praxis raus nach New York und waren am nächsten Tag dort. Abends zu Hause konnte ich dann mit dem Labor die Arbeiten besprechen. Die Fertigung von Zahnersatz im Ausland war damals wie heute günstiger als in Deutschland. Auf der Madison Avenue wurde auch der Grundstein für das Dentallabor IMEX gelegt. Wir hatten festgestellt, dass wir sehr viele Laborarbeiten herausgeben mussten und wollten das lieber selbst übernehmen. Mein Sohn Jan-Dirk, der damals noch in den USA tätig war, übernahm die logistische Leitung des Labors. Erst als die wirtschaftlichen Vorteile dort nicht mehr gegeben waren, haben wir unseren Stammsitz in Essen gegründet und den internationalen Teil der Herstellung nach Asien verlagert.
DentNet: Wie sah der technische Stand der Implantologie Anfang der 70er Jahre aus?
Es wurde vieles ausprobiert. Professor Linkow entwickelte zum Beispiel das Blattimplantat und setzte es schon in den 1960ern ein. Es hatte nur eine geringe Stärke, dafür eine relativ große Fläche, die im Knochen für Halt sorgen sollte. Für diese blattförmigen Implantate wurde eine Rille in den Kieferknochen präpariert, in die das Implantat eingelassen wurde. Eigentlich ein großer Fortschritt damals, aber es gab entscheidende Nachteile, da diese Implantate in den meistens Fällen nur bindegewebig einheilten. Auch subperiostale Implantate wurden bei Knochenschwund im Kiefer eingesetzt. Das waren keine Schrauben, sondern flache Gerüste, die unter der Schleimhaut, aber auf dem Knochen auflagen. Sie haben sich auf Dauer nicht bewährt, und wir haben sie nicht mehr verwendet.
DentNet: Woran lag das?
Der Abdruck für das Gerüst musste direkt auf dem Knochen genommen werden. Dafür musste die Schleimhaut des gesamten Kiefers aufgeklappt und nach dem Abdruck alles wieder vernäht werden. Der gleiche Eingriff war beim Einsetzen noch einmal nötig, das bedeutete einen hohen chirurgischen Aufwand und eine große Belastung für den Patienten. Die Herstellung eines spannungsfreien Gerüsts stellte erhebliche Anforderungen an die Zahntechnik und dauerte etwa drei Wochen. Heute gibt es sehr gute Methoden, ein zu geringes Knochenvolumen wiederherzustellen. Als sich mit dem Sinuslift vor rund 30 Jahren die Möglichkeit bot, auch im Oberkiefer Knochensubstanz aufzubauen und Schraubenimplantate einzusetzen, war das eine Sensation. Dieser Eingriff ist zwar auch aufwändig, aber sehr erfolgreich und kann heute minimalinvasiv vorgenommen werden. Früher wurde Patienten ein Stück Knochen aus dem Beckenkamm entnommen und im Kiefer eingesetzt. Der große Eingriff hatte manchmal wochenlange Beschwerden an der Entnahmestelle zur Folge, und das Material resorbierte und hielt das Volumen nicht. Heute verfügen wir über verschiedenste Ersatzmaterialien und Verfahren, und der Aufbau des Kieferknochens kann sogar gleichzeitig mit der Implantation erfolgen. Das verkürzt die Behandlungsdauer.
DentNet: Wann haben Sie Ihr erstes Implantat eingesetzt?
Das erste Implantat vergisst man nie. Das ist ungefähr so wie der Tag, an dem man seine Frau kennengelernt hat. Das war im September 1969, ich kann Ihnen heute noch die Region zeigen und das Röntgenbild wiedergeben. Der Patient ist leider unbekannt verzogen, deshalb weiß ich nicht, ob es noch immer hält. Aber ich hatte früher eine Sekretärin im Huyssenstift, sie hat von mir 1971 ein Frontzahnimplantat bekommen. Mein Sohn betreut diese Patientin inzwischen, und ihr Implantat hält immer noch, seit 50 Jahren. Alle fünf Jahre schreibt sie mir einen Dankesbrief dafür, das ist großartig!
DentNet: Mit der Gründung der Zahnklinik in 1999 ging es dann so richtig los?
Als sich mir die Möglichkeit bot, die Klinik zu eröffnen, habe ich ohne Nachdenken sofort zugesagt. Vorher wurden mir von Seiten der Zahnärztekammer viele Steine in den Weg gelegt. Ein größeres Implantatzentrum wurde abgelehnt. Aber wenn Steine im Weg liegen, kann man daraus auch eine Brücke bauen. Die Zahnklinik wurde mit Genehmigung der Stadt Essen als Implantatzentrum mit prothetischer Versorgung gegründet, die Zustimmung der Zahnärztekammer war erfreulicherweise nicht erforderlich. Wir hatten anfangs ein sehr großes Werbebudget und viele Anzeigen in der Welt am Sonntag. Diese Zeitung lag damals noch in Flugzeugen aus und wurde von allen Deutschen im europäischen Ausland gelesen. Damit haben wir sehr viel Aufmerksamkeit geweckt, es gab damals kaum jemanden, der in größerem Stil implantierte. Unser Slogan war „Wir machen da weiter, wo andere aufhören“. Patienten aus ganz Deutschland kamen zu uns, einer aus Rom und einer sogar aus Argentinien. Auch zahlreiche Vorstände und Aufsichtsräte aus großen Unternehmen ließen sich bei uns behandeln und übernachteten für ihre Behandlung in Essen.
Damals gab es eine Lücke in der Versorgung, und wir waren sozusagen eine Pferdelänge voraus. Die Patienten dachten seinerzeit, das wäre eine vollkommen neue Technik, dabei war sie hierzulande nur noch nicht bekannt. Ich habe heute noch Patienten, die reisen für ihre Behandlung extra aus Hamburg an. Die Gründung der Zahnklinik war das Beste, was ich in meinem beruflichen Leben erreicht habe.
DentNet: Welche zahnmedizinischen Errungenschaften der letzten 20 Jahre haben Sie am meisten beeindruckt?
Die Digitalisierung hat einen enormen Entwicklungsschub gebracht. Früher hatten wir einfache Röntgenaufnahmen in 2D, heute gibt es die Digitale Volumentomographie (DVT), die alles in 3D zeigt. Wir wussten damals nie genau: Wie breit ist der Knochen? Wo verläuft der Nervenkanal? Da gab es viel Unsicherheit, und es war nicht immer ungefährlich. Da wir natürlich auf der sicheren Seite bleiben wollten, konnten wir damals nicht so umfangreich implantieren wie heute. Mit den modernen Methoden sieht man exakt die Form des Kieferknochens und die Lage des Nervs, es gibt keine Überraschungen mehr. Anhand der digitalen Aufnahmen werden die exakt zum Knochen passenden Implantate ausgewählt, im Labor individuelle Bohrschablonen hergestellt und die optimale Position errechnet. Wir können heute zwar nicht blind, aber ganz entspannt implantieren. Wir scannen auch die Implantate digital, und die Aufnahmen sind in Sekundenschnelle im Dentallabor und können sofort weiterverarbeitet werden.
DentNet: Man merkt Ihnen die Begeisterung und die Leidenschaft für Ihren Beruf deutlich an.
Ruhestand ist das Langweiligste, was es gibt. Das kommt für mich noch nicht infrage. Leidenschaft ist wichtig, wenn man erfolgreich sein möchte und seinen Weg gehen will. Ich bedaure manchmal, dass nicht mehr Zahnärzte implantieren, vor allem die Kolleginnen. Frauen scheinen mehr Scheu vor chirurgischen Eingriffen zu haben und überweisen lieber. Dabei ist eine Implantation kein Hexenzauber. Eine Wurzelbehandlung dauert länger und ist aufwändiger. Patienten sind oft erstaunt, wie schnell Implantate – bei gutem Knochenangebot – gesetzt sind. Nur die anschließende Einheilung der künstlichen Zahnwurzeln braucht etwas Zeit, im Unterkiefer etwa zwei Monate, im Oberkiefer rund drei. Früher haben wir viel längere Implantate verwendet und rund ein halbes Jahr Einheilungszeit abgewartet. Heute wissen wir, es reicht aus, wenn sie acht, zehn oder zwölf Millimeter lang sind, und sie halten sehr lange, wenn die Knochenqualität gut ist.
DentNet: Wem würden Sie von Implantaten lieber abraten?
Wer viel raucht, hat ein höheres Risiko, das Implantat zu verlieren. Obwohl ich mich über manche Raucher wundern muss: Da halten die Implantate auch schon seit 30 Jahren. Eine Parodontitis ist definitiv ein sehr großer Risikofaktor, auch nach erfolgreicher Behandlung. Der Knochen ist einfach weicher. Ich glaube nicht, dass bei einem früheren Parodontitis-Patienten ein Implantat 30 Jahre halten würde. Implantate können sehr lange halten, aber es kommt immer auf die Knochensituation an.
DentNet: Welche Entwicklungen in Ihrem Fachbereich würden Sie sich wünschen?
Die Implantationstechnik ist eigentlich ausgereift. Ich würde mir mehr Einheitlichkeit im Bereich der Implantatherstellung wünschen. Wir haben in Deutschland rund 60 Firmen, die alle verschiedene Implantate herstellen. Und jede verwendet andere Schraubenschlüssel, andere Größen, nichts ist untereinander austauschbar, das ist unsinnig. Ich bin außerdem der Meinung, dass die deutschen Universitäten allen Studierenden eine fundierte Ausbildung in der Implantologie bieten sollten, damit dieser Fachbereich genauso selbstverständlich wird wie andere. Das hat inzwischen zwar schon begonnen, aber hierzulande dauert alles viel zu lange.
DentNet: Haben Sie noch eine nette Anekdote für unsere Leser?
Während meiner Zeit im Huyssenstift in den früheren 70er Jahren arbeitete dort auch einer der bekanntesten Schönheitschirurgen Deutschlands. Alle Filmsternchen und Models suchten ihn auf, er vergrößerte hier und verkleinerte dort und operierte auch Nasen. Die damals sehr beliebte Sängerin Katja Ebstein ließ sich bei ihm die Nase korrigieren. Anschließend schrieb die Regenbogenpresse fälschlicherweise: Katja Ebstein hat im Huyssenstift in Essen eine neue Nase und auch schöne neue Zähne bekommen. Ich habe Frau Ebstein zwar nie getroffen, aber nach diesem Bericht rannte uns eine Flut von Patienten die Türen ein. Viele Mütter kamen mit ihren Töchtern und dem Wunsch „Können Sie mal so wie bei Katja Ebstein? Wir wissen natürlich, Sie dürfen nicht darüber reden!“ Ich habe selbstverständlich bestätigt, dass ich keine Namen nennen darf, und eine Krone nach der anderen eingesetzt. Das war wie ein Sechser im Lotto und für mich als Anfänger ein goldener Segen. Eigentlich wollte ich Frau Ebstein immer mal sagen, wie sie unabsichtlich zu meinem wirtschaftlichen Erfolg beigetragen hat.
DentNet: Vielen Dank für das spannende Gespräch, Dr. Oberbeckmann.